EU bringt Öl-Embargo auf den Weg – Wirksamkeit bleibt umstritten
31.05.2022
Die Diskussionen über ein gemeinsames Öl-Embargo aller Staaten der Europäischen Union gegenüber Russland begannen im Grunde bereits kurz nach dem Beginn des Krieges.
28.04.2022
Kaum ein Thema wird im Augenblick zu häufig und hitzig diskutiert wie ein möglicher Abschied von Energie aus russischer Produktion. Die Debatten nehmen dieser Tage umso mehr Fahrt auf, da Russland selbst als Reaktion auf westliche Sanktionen erste Lieferstopps in die Tat umsetzt. Im ersten Schritt trifft es Polen und Bulgarien. Gerade im Falle Bulgariens wird die Entscheidung im Ernstfall aufgrund der bestehenden Abhängigkeiten möglicherweise gravierende Folgen haben. Die westliche Gemeinschaft arbeitet auf Hochtouren an Lösungen, um das Partnerland zu entlasten. Die Europäische Union (EU) reagierte auf die Ankündigung des Lieferstopps an die besagten Länder mit dem Vorwurf, Russland versuche Europa zu erpressen. Notfallpläne sollen eine Versorgung Bulgariens sicherstellen. Gleichzeitig bleibt die Frage, ob und wie schnell sich Deutschland einen Abschied von Energie aus Russland „leisten“ kann. Eine neue Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) kommt diesbezüglich zu einem positiven Ergebnis.
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Seit Beginn des Krieges arbeitet die deutsche Politik an Modellen, wie ein Ausstieg aus der Lieferung russischer Energie aussehen könnte. Ein wesentlicher Knackpunkt ist dabei die Gasversorgung. Viele Experten warnten in den letzten Tagen vor weitreichenden und kaum absehbaren Folgen für die deutsche Wirtschaft und nicht zuletzt auch die deutschen Haushalte. In vielen anderen Ländern, die auf Russland als wichtigsten Partner angewiesen sind, verhält sich die Lage sehr ähnlich. Die Analysten des renommierten Instituts DIW aus Berlin kommen nach eingehenden Studien aktuell zur Erkenntnis: Ein Ende der russischen Versorgung wäre für Deutschland zumindest mit Blick auf den heimischen Strommarkt durchaus möglich, ohne im Gegenzug Engpässe in Kauf nehmen zu müssen.
Eine Nachricht nimmt hierbei gerade den besonders kritischen Umweltverbänden sprichwörtlich den Wind aus den Segeln. Umweltschützer befürchten seit Beginn des Krieges, dass sich Deutschland fürs Erste von seinen Plänen zur Energiewende verabschieden und möglicherweise die Laufzeiten für Atom- und Gaskraftwerke verlängern könnte. Laut der Analyse des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung aber müsste die Unabhängigkeit von Energie aus Russland nicht automatisch zulasten bisherigen Ziele gehen. Eine Verschiebung der Zeitpläne für den Ausstieg aus den beiden genannten Energiequellen, so die Analysten, wäre nicht nötig. Im Mittelpunkt der Analyse standen im Wesentlichen zwei wichtige Kernaspekte. Auf der einen Seite haben sich die Experten angesehen, welche Konsequenzen ein Embargo im Kohlesektor gegen die Kriegspartei Russland hätte. Auf der anderen Seite geht es in der neuen Studie um Folgen, die ein Lieferstopp für russische Energie für den Strommarkt in Deutschland vermutlich haben würde.
Bezüglich der Strommarkt-Auswirkungen wiederum spielen abermals zwei Kriterien eine Rolle. Die Fragestellung: Wie würde sich ein Stopp der Energielieferungen akut für das Jahr 2023 auswirken und welche „mittelfristigen Effekte“ wären bis zum Beginn der 2030-er Jahre zu erwarten. Das Ergebnis der Studie fällt durchaus optimistisch aus. Importe aus anderen Förderländern könnten in den Bereichen Gas und Kohle ein adäquater Ersatz sein. Bundesumweltminister Robert Habeck hatte zum Beispiel schon früh Gespräche mit dem (fraglos umstrittenen) Land Katar geführt und Alternativen zur Versorgung aufgezeigt. Eine gewisse Unsicherheit gibt es bei vielen Analysten dahingehend, ob russische Lieferungen kurzfristig in vollem Umfang ersetzt werden können. Schließlich bezieht Deutschland dem DIW zufolge gut 60 Prozent seiner Kohlelieferungen aus Russland.
Das Institut formuliert in diesem Zusammenhang eine klare Empfehlung: Um Engpässe zu vermeiden, könnten (Stein-) Kohlelieferungen aus Staaten wie den USA eine sinnvolle Lösung zur Überbrückung bis zum Jahr 2030 sein. Wichtiger scheint allerdings ein anderer Aspekt der Analyse: Um den höheren EU-Bedarf zu decken, gebe es kurzfristig durchaus „ausreichende Kapazitäten“. Ein Versorgungsproblem müsse keineswegs die Folge eines Kohle-Embargos gegenüber Russland sein, wie es beim DIW heißt. Das Wirtschaftsinstitut formuliert dazu einige Maßnahmen, die eine Versorgungssicherheit garantieren sollen. Dabei spielt auch eine Rolle, dass Braunkohle in Deutschland ohnehin noch über Jahr als Grundlage der Stromversorgung dienen soll. Um drohende Lücken bei der Versorgung zu schließen, könnten beispielsweise jährliche Gaskraftwerk-Laufzeiten gesteigert werden.
Deutschland könne zudem „Kapazitäten aus der Sicherheitsbereitschaft und Netzreserve“ freigeben, um fehlende Erdgaslieferungen aus Russland mit Blick auf den heimischen Strommarkt auszugleichen.
Darüber hinaus legt das DIW nahe, für 2022 geplante Stilllegungen von Steinkohlekraftwerken auf den Prüfstand zu stellen. Kraftwerke dieser Sparte könnten im Ernstfall als Reservelösung dienen. Dazu gehört ebenfalls, dass schon jetzt als Reserve vorgesehene Steinkohleblöcke länger Bestandteil der Reserve bleiben könnten. Punkt 3: Das Braunkohlekraftwerk Neurath soll 2022 eigentlich stillgelegt werden. Die im Kraftwerk befindlichen Blöcke könnten vorübergehend Teil der sogenannten Sicherheitsbereitschaft werden. Zuletzt stellt das Wirtschaftsinstitut auch für Braunkohleblöcke, die schon jetzt Teil der Sicherheitsbereitschaft sind, einen längeren Verbleib in dieser Notfallversorgung vor. Die Experten stellen einen vergleichsweise überschaubaren Zeitrahmen bis zum Ende des Winters 2023/2024 zur Debatte. Zwar würde der Anteil der Kohle-Stromerzeugung durch die besagten Maßnahmen zunehmen. Zugleich aber würde Strom aus Atomkraft und Erdgas aber aus den bekannten Gründen fallen.
Am Ende spielt aber einmal mehr die Notwendigkeit der Energiewende in der Studie des DIW eine zentrale Rolle. Der Anteil erneuerbarer Energien müsse in Deutschland dringend gesteigert werden. Für eine langfristig gesicherte Stromversorgung vor dem Hintergrund der Energie-Unabhängigkeit von Russland halten es die Urheber der Studie für erforderlich, dass erneuerbare Energien bis 2030 95 Prozent des deutschen Energiemix im Stromsektor sicherstellen. Noch genauer: An erster Stelle müsse „onshore Windenergie“ stellen, gefolgt Fotovoltaik.